Im Rahmen meiner Recherchen laß ich unlängst einen Artikel „Depression - Krebs der Seele?“ (Oliver Hoischen, FAZ, 31.08.2008). 
Eine sehr passende Umschreibung. Aber - wenn Sie an Krebs erkrankt sind, erleben Sie Anteilnahme und Unterstützung. Mit Depressionen ist das etwas anderes.


Ich bin Zeuge geworden, daß sich Mitpatienten im Krankenhaus hinter Säulen verstecken oder fluchtartig ins Treppenhaus verschwinden, weil sie ihren Chef, einen Kollegen oder eine Bekannte im Foyer gesehen haben.

Ich bin Zeuge geworden, daß stationär aufgenommen Mitpatienten ihre Therapie abgebrochen haben, weil sie „entdeckt“ worden sind.

Es gibt Krankenhäuser, in denen man wählen kann, ob die AU-Bescheinigungen mit einem Stempel der Psychosomatik oder der Inneren Medizin ausgestellt werden. Weil die Depressionserkrankung immer noch stigmatisiert ist und Patienten Nachteile befürchten müssen, wenn die Erkrankung bekannt wird.



Gegenwind



Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich von Anfang an ganz offensiv mit meiner Erkrankung umgegangen und habe kein Geheimnis daraus gemacht. Aber Vorsicht - das kann Sie Freunde kosten. Ganz rigoros habe ich Freundschaften beendet mit Menschen, die (m)eine Depressionserkrankung nicht ernst nehmen oder gar bestreiten, daß es so etwas gibt. Und großartig - Sie gewinnen neue Freundschaften, weil Ihre Offenheit andere ermutigt, auch zu Ihrer Krankheit zu stehen und sich zu offenbaren.



Dogmen machen blind



Und trotzdem, ich rege mich immer noch maßlos auf, wenn ich z.B. solche Sachen höre:


Depressionen sind eine Krankheit von Menschen, die zu viel Zeit haben. Wenn man richtig arbeiten geht, und nicht zuhause ohne Beschäftigung rumhängt, hat man keine Zeit zu grübeln und wird auch nicht krank.

Such Dir endlich wieder einen Job.


Das erinnert mich an eine von mir sehr geschätzte Kollegin, die in einem Gespräch über meine Erkrankung sagte, sie könne sich mit dem Thema Depression nicht auseinandersetzen, weil sie Angst vor der Wahrheit hätte.

Lassen Sie mich eine, nur eine Geschichte erzählen, das Leid einer depressionskranken Dame im Alter von ungefähr 60 - 65 Jahren. Ich habe sie gefragt und ich darf ihre Geschichte erzählen:


Sie wurde als Teenager vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell mißbraucht. In einer sehr persönlichen Situation - das samstägliche Bad, das in den 60er/70er Jahren noch üblich war - hat sie sich ein Herz gefaßt und sich ihrer Mutter anvertraut.


Ich frage Sie, wie hat die Mutter reagiert? Bevor ich Ihnen das nacherzähle... noch ein paar Sprüche, die wir zu hören bekommen:


Sei froh, dass du nicht richtig krank bist.

 


"Akzeptieren sie endlich, daß sie ernsthaft krank sind." Dr. Emma Hermann im Mai 2018



Aber du siehst gar nicht depressiv aus.


Sehen Krebskranke nach Krebs aus? Sehen Diabetiker nach Diabetes aus? Wenn es Ihnen so richtig schlecht geht, kann es der letzte Rest von Überlebenswillen, von Würde sein, sich herauszuputzen und die Fasson zu wahren. 


Na, deine Sorgen hätte ich auch gern.

Laß dich doch nicht so gehen.


Nein, Sie möchten keinen Tag im Kopf eines Depressionskranken verbringen! In das unendlich tiefe Schwarz zu schauen, ständig dagegen zu kämpfen, hineingezogen zu werden. Diese Leere, das absolute Nichts. Die Abwesenheit von allem, keine Gefühle, nur Leere. Maschinenmensch, funktionieren.

 "Ich hatte einen schwarzen Hund" ist der Versuch, das zu erklären. (Youtube)


Ich habe auch Probleme, aber ich mach da nicht so ein Riesending raus.

Du willst nur Aufmerksamkeit.

Du brauchst keine Therapie oder Tabletten. Du brauchst nur ein bißchen frische Luft, Sonne und Yoga.


Weiter mit der Geschichte:

Die Mutter ist ausgerastet und hat ihrer Tochter vorgeworfen, sie wolle ihr (der Mutter) den Liebhaber wegnehmen.

Und dann hat sie versucht, die Tochter in der Badewanne zu ertränken.


Und dann müssen Sie sich sowas anhören:


Glück ist eine Entscheidung.

Stell dich nicht so an.

Reiß dich zusammen.


Nein, das ist nicht meine Geschichte, ich habe eine andere Geschichte. Jede(r) Depressionskranke hat eine Geschichte, die mühsam in der Therapie herausgeschält wird. Sie wissen nie, welche Geschichte Ihr Gegenüber hat.


So viele Menschen haben es schlechter als Du.

Du hast doch gar keinen Grund traurig zu sein.

Andere haben viel größere Probleme als du.

Depression ist doch nur ein Modewort als Ausrede für Faulheit



"Depression ist keine Charakterschwäche. Es ist auch keine Launigkeit. Es ist eine Krankheit."

Klaas Heufer-Umlauf auf www.frnd.de - Freunde fürs Leben (Depression und Suizid)



Hier wahllos eine Liste mit Menschen, die zu Ihrer psychischen Erkrankung stehen, die Sie bestimmt nicht mit Faulheit in Verbindung bringen:


Noah Lyles, Michael Phelps, Sebastian Deisler, Robert Enke, Sven Hannawald, Bruce Springsteen, Axl Rose, Adam Levine, Kurt Cobain, Robin Williams und Robbie Williams, Jim Carrey, Will Wheaton, Carrie Fischer, Dwayne „The Rock“ Johnson, Selena Gomez, Sting, Halle Berry, Demi Lovato, Lady Gaga, Nicole Kidmann, Angelina Jolie, Demi Moore, Howard Carpendale, Ellen DeGeneres, Eminem, Kate Perry, Justin Bieber, Adele, Amy Winehouse, Sarah Conor, Julia Roberts, Catherin Zeta-Jones, Bruce Darnell, Winston Churchill, Buzz Aldrin, Joanne K. Rowling

 

Die Faulen brauchen nur eine Ausrede.

Geh mal an die frische Luft, dann geht es wieder.

Du mußt Dir nur ein bißchen Mühe geben, dann geht es schon wieder.

Kapierst Du nicht, dass du dich einfach anstrengen musst. Versuch es doch wenigstens mal.


Wenn Sie erfahren, dass jemand in Ihrem Umfeld an Depressionen erkrankt ist, informieren Sie sich über die Krankheit und wie Sie helfen können, z.B. hier.



Dogmen machen blind. Machen Sie sich schlau(er) und überdenken Sie Ihren Standpunkt.




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